Ausschreibung des .net-Verlags zum Thema "Geschichten im Garten".

Diese Geschichte wurde tatsächlich ausgewählt, Teil der Anthologie des .net-Verlags zu werden. Juchu :-)

Daher gibt es hier nur noch einen kurzen Anfang.

Schachbrettgärten

Abends saß ich oft in Herrn Alts Garten und wir tranken selbstgemachte Limonade. Also er behauptete zumindest, sie sei selbstgemacht, aber ich glaube, er füllte einfach fertige in eine schicke Flasche, um mir das Gefühl zu geben, dass es etwas Besonders sei. Aber ich war ja nicht dumm. Ich war damals zwar erst elf Jahre alt, aber so was merkte ich natürlich.

Auch an diesem Tag hockte ich wieder in einem seiner tiefen Gartenstühle und wir zogen gemeinsam an unseren langen Strohhalmen.

"Soll ich dir etwas verraten?" Herr Alt grinste und ich konnte seine künstlichen Zähne sehen. Er beugte sich zu mir hinüber und ich roch sein Alter.

Herr Alt war alt. Sehr alt. Ich weiß nicht, wie alt. Ein Kind denkt, dass einfach jeder Erwachsene mindestens hundert Jahre alt sein müsse, aber ich bin mir sicher, Herr Alt war damals WIRKLICH hundert Jahre alt.

"Ich habe gestern Herrn Sauber gesehen."

Das allein war nun echt nichts besonders. Herrn Sauber gehörte einer der vier Schrebergärten, direkt neben dem von Herrn Alt.

Mein Vater hatte mal erzählt, dass es damals wohl noch so viel Platz in der Stadt gegeben hatte, dass man an dieser Stelle kein Haus hatte bauen wollen, sondern lieber vier kleine Schrebergärten errichtet hatte. Wegen Umwelt und Grün und so. Jeder nicht größer als ein Handballfeld. Sagte mein Vater. Ich hatte damals noch nie ein Handballfeld gesehen, aber die Gärten waren ganz sicher kleiner als ein Fußballfeld. Das kannte ich.

"Er hat mit einem Lineal den Rasen vermessen." Herr Alt lachte und blickte kurz zu dem hölzernen Zaun herüber, der seinen Garten von Herrn Sauber trennte.

Die Gärten waren wie ein winziges Schachbrett angelegt. Zwei mal zwei. Unser Garten lag neben dem von Herrn Alt und Frau Wirr, deren Garten neben dem von Herrn Sauber lag.

"Ein Lineal? Echt? Das ist neu."

Die Limonade war zu sauer. Es war Zitronenlimonade. Eigentlich mochte ich keine Zitronenlimonade, aber ich hatte irgendwann einmal gesagt, dass ich sie super fände, einfach um höflich zu sein und jetzt gab es halt jedes Mal Zitronenlimonade. Verdammte Höflichkeit. Aber ich mochte Herrn Alt, also war es gar nicht so schlimm, dass ich die Limonade nicht mochte.

"Ja, er hat die Höhe des Rasens vermessen und den exakten Abstand zwischen seinem Buchsbaum und dem Zaun."

Wieder lachte er, aber es war kein böses Lachen. Ich hatte ihn noch nie böse gesehen, also so wirklich.

Er lehnte sich zurück und wir tranken eine Weile schweigend.

"Wie ist es in der Schule?“

"Gut."

Er nickte, als sei damit alles gesagt. Das mochte ich an Herrn Alt. Meine Eltern wollten immer alles ganz, ganz genau wissen, aber Herr Alt gab sich mit einem einfachen 'Gut' zufrieden.

"Ich habe gesehen, deine Mutter hat wieder Tomaten angepflanzt?"

Ich seufzte. Meine Mutter wollte schon immer Gemüse in unserem winzigen Garten wachsen lassen und auch die Feststellung meines Vaters, dass es da wohl allenfalls für einen kleinen, gemischten Salat reichen würde, hat sie nicht davon abgehalten, in mehreren Reihen Gurken, Möhren und jetzt eben auch Tomaten anzupflanzen.

Herr Alt schüttelte den Kopf: "Dafür ist es zu spät. Tomaten gehen nur bis Juni."

Ich glaubte, er wusste einfach alles über Pflanzen, also zumindest die Pflanzen, die man in einem Garten so haben konnte. Und auch wenn es niemand zugegeben hätte, so wussten doch alle, dass sein Garten der schönste war. Er hatte kein Gemüse, Obst, Sträucher oder Bäume, sondern unzählige, bunte Blumen, die in kleinen Gruppen im Garten verteilt waren. Mindestens einmal im Monat erklärte er mir genau, was wo wuchs: Dort drüben Rittersporn (den Namen fand ich immer ziemlich klasse) neben einer Gruppe Storchschnabel, da einige Tulpen, aber nicht diese normalen, langweiligen, die jeder kennt, sondern gefüllte Tulpen (was auch immer das genau sein sollte), da drüben stand eine gigantische Kletterhortensie und direkt am Zaun zu unserem Garten züchtete er fast schon unverschämt imposante Rosen.

"WIRR!"

Nein, nicht schon wieder.

Der Schrei kam aus dem Garten von Herrn Sauber.

Herr Sauber war eher jung - glaubte ich. Und alles an ihm war ordentlich: Seine Frisur, sein Anzug, seine Krawatte, seine Schuhe, alles war so sauber und ordentlich wie sein gesamter Garten, der mich immer ein wenig an diese schrecklichen Geometrieaufgaben aus dem Matheunterricht erinnerten: Exakte, rechte Winkel, exakt geschnittene Steine, die exakt ausgemessene Beete umgaben. In dem Garten von Herr Sauber gab es nur Pflanzen und Blumen, die irgendwie auch exakt waren.

"FRAU WIRR!"

Herr Alt und ich wussten beide, was jetzt kommen würde und wir drehten uns um und beobachteten das immer gleiche Spektakel.

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