Watson James
und die verschwundene Lilie
Leseprobe
Anfang des Buchs
„Hallo? Ich … ich wollte nur mal fragen … was sie da machen?“
Maria rannte dem seltsamen Mann hinterher und überlegte für einen Moment, ob sie ihn vorsichtig am Ärmel ziehen sollte, entschied sich dann jedoch dagegen. Der Mann war mindestens zwei Köpfe größer als sie, was kein Wunder war, denn Maria war ja erst zwölf Jahre alt. Er war ohne Frage auch sicher drei Mal so alt wie sie. Oder vielleicht sogar vier Mal? Er trug über einer braunen Hose einen braunen Mantel mit mindestens einhundert braunen Taschen. Um seinen Hals hing ein dünner, zerschlissener, grüner Schal mit gelben Punkten. Seine Haare waren so zerwühlt und durcheinander, wie es der stolze Schnurrbart gerade nicht war.
Er schritt nachdenklich auf und ab und schien etwas zu suchen.
„Was … was suchen Sie denn da?“
Der Mann drehte sich nicht um, sondern schnaubte nur verächtlich.
„Gibt es hier etwas Besonders?“
Wieder keine Antwort. Der Mann betrachtete schweigend ein zerwühltes Blumenbeet.
„Hallo? Ich … “
„Was?“, schrie der Mann plötzlich und drehte sich um. Er starrte Maria mit wütenden, weit aufgerissenen Augen an. Maria stolperte erschrocken einen Schritt zurück.
„Ich … Ich …“, ihr fehlten plötzlich die Worte.
„Du willst mit mir sprechen? Oder nur sehen, was dieser seltsame Mann da so treibt? Ist das eine alberne Mutprobe? Haben die anderen Kinder gesagt, dass du mich ansprechen sollst? Dass du herausfinden mögest, was ich hier mache: ‚Frag doch mal den komischen Kerl da drüben. Das traust du dich sicher nicht. Der ist verrückt, der Kerl. Los schon, traust du dich?‘ – haben sie das gesagt? Natürlich haben sie das gesagt.“
Maria zitterte. Sie wollte etwas erwidern, aber dann stockte sie.
Sie schaute kurz auf ihre eigenen Füße, aber da fand sie auch keine Antwort.
Sie blickte über ihre Schulter zurück. Zurück zu der flachen Mauer, hinter der sie undeutlich noch die anderen Kinder sehen konnte. Die anderen Kinder, die sie in der Tat ermutigt hatten, diesen seltsamen Kauz anzusprechen. Die darauf warteten, dass sie wieder zurückkäme und ihnen stolz berichten würde, was er ihr so alles erzählt hätte.
Der Mann schaute sie immer noch vorwurfsvoll an.
Maria fühlte sich elend. Nicht nur, weil sie sich ertappte sah, sondern weil sie merkte, dass das eine ziemlich, ziemlich fiese Idee gewesen war. Für einen Moment überlegte sie, wie sie es wohl fände, wenn jemand zu ihr gelaufen käme, um sie wie ein exotisches Tier zu begaffen.
Vermutlich nicht so gut.
„Entschuldigen Sie … bitte“, stammelte sie daher nur.
Der Mann kniff die Augen zusammen, blickte kurz ebenfalls zu den anderen Kindern hinüber und schien nachzudenken. Dann griff er in eine seiner unzähligen Taschen, holte eine kleine, runde Schachtel hervor und drückte sie Maria in die Hand.
Für einen absurden Moment fürchtete sie, dass es eine Bombe wäre, die jeden Moment explodieren könnte. Allerdings wäre es eine ziemlich kleine Bombe gewesen. Aus Pappe.
„Wenn du schon einmal hier bist, um zu erfahren, was ich denn wohl an diesem Ort praktiziere, so kannst du mir auch zur Seite stehen.“ Seine Stimme klang nun ruhig und besonnen, schien aber keinen Widerspruch zu dulden.
Maria blickte unsicher zwischen der Pappschachtel und der Mauer hin und her, als würde sie erwarten, dass ihr von dort jemand zurufen würde, was nun zu tun sei.
Der Mann kreiste mit seinem langen Zeigefinger um die Schachtel: „Öffne sie!“
Maria öffnete sie.
Die Schachtel war leer.
„Die Schachtel ist leer.“, flüsterte sie.
„Natürlich ist sie leer“, der Mann schüttelte den Kopf und drehte sich wieder zu dem Blumenbeet um. Er kniete sich zu den struppigen Pflanzen herab und fuhr mit seiner Hand über den trockenen Boden.
„Du wolltest wissen, was ich hier suche? Ich suche nach Spuren. Jawohl. Spuren. Indizien. Auffälligkeiten. Dinge, die nicht passen. Nicht so sein sollten. Oder vielleicht gerade doch. Geheimnisse. Rätsel. Oder besser deren Lösung. Unentdeckte Mysterien.“ Er hatte sich erhoben und schaute Maria direkt in die ängstlichen Augen. Dann zog er ein rundes, grünes Blatt hervor, das er offenbar soeben vom Boden aufgehoben hatte, hielt es Maria kurz demonstrativ vor das Gesicht und legte es dann in die Schachtel.
Dann grinste er und es schien Maria, als hätte er längst alles vergessen, was zuvor geschehen war und als würde in diesem Moment nur das Blatt in der Schachtel von Bedeutung sein.
„Nun, mein Kind, was sagt dir das?“
„Was sagt mir was?“
Der Mann verdrehte frustriert die Augen, dann zeigte er erneut auf das Blatt: „Das Blatt!“
„Das Blatt?“
„Bist du ein Papagei?“
„Ein Pa…“, Maria stockte. „Nein, also … eigentlich nicht. Ich weiß nur nicht, was Sie meinen.“
Der Mann legte kurz seinen Kopf schief und schien erneut nachzudenken.
Maria überlegte, ob der Mann verrückt oder gefährlich sei oder vielleicht auch einfach beides.
„Womöglich solltest du zurück zu deinen Freunden dort hinter der Mauer gehen“, hörte sie ihn plötzlich flüstern.
Sollte sie? Wollte sie? Eigentlich nicht. So richtig wusste sie immer noch nicht, warum sie eigentlich hier war. Warum sie den Kindern gefolgt war. Dieser Anika und den Kindern aus ihrer Klasse, die sie nicht mochte und die Maria nicht mochten. Aber für einen Moment hatte es sich wunderbar angefühlt, einmal dabei zu sein. Mit einer Gruppe durch die Straßen zu ziehen. Aber jetzt überlegte Maria, ob das alles nur ein reichlich hinterhältiger Plan gewesen war, sie hier dieser absurden Mutprobe zu unterziehen.
Sie senkte verbittert die Augen. Erst jetzt bemerkte sie die riesigen Schuhe, die ihr Gegenüber trug: Rund, rot und viel zu groß.
„Nein“, der Mann klatschte zynisch grinsend in die Hände, „deine Freunde sind schon wieder verschwunden. So ein Pech. Was für ein feiger Haufen, mit dem du da unterwegs bist. Oder treulos. Vermutlich beides.“
Vermutlich.
„Nun gut, nun gut. Dies ist sicher keine Veranlassung für Trauer oder Frustration. Versuchen wir es schlicht noch einmal: Was sagt dir dieses Blatt?“
Maria schaute noch einmal in die kleine Kiste und versuchte mit aller Kraft etwas Besonderes an dem Blatt zu entdecken. Aber da war nichts. Es war ein völlig belangloses, langweiliges, grünes Blatt, von einem der Bäume, die sich hier auf dem Kirchplatz befanden.
„Ich weiß es nicht. Es ist ein Blatt. Von einem der Bäume hier vermutlich.“
„Vermutlich? Schau dich um!“
Maria schaute sich um: Sie standen auf einem kleinen Platz, der offiziell zu einer Kirche gehörte, aber eher wie ein zu groß geratener Schrebergarten wirkte. Es gab einige wenig gepflegte Blumenbeete und drei große Bäume, einer von ihnen direkt an der Flanke der wuchtigen Kirche, deren Haupteingang über eine breite, zertretene Treppe hinab in diesen kleinen Park führte, der bis auf wenige Ausgänge von einer hüfthohen Mauer umgeben war, hinter der noch bis vor wenigen Minuten die anderen Kinder gekauert und Maria beobachtet hatten.
Maria verglich die Form des Blattes mit den Blättern an den Bäumen.
„Das Blatt stammt von einem der Bäume hier“, in dem Moment, als sie das aussprach kam sie sich furchtbar albern vor. Natürlich stammte das Blatt von einem der Bäume hier. Woher auch sonst?
„Korrekt! Aber warum haben wir es hier in diesem Blumenbeet gefunden, sicher an die zehn Meter entfernt von diesem Baum dort an der Kirchenmauer?“
„Wind?“
Der Mann schien irritiert von Marias einsilbiger Antwort und blickte sich um. Mit einem Mal fragte sie sich, ob der Mann die Antworten auf seine eigenen Fragen bereits kannte oder eben gerade nicht.
„Wind? Womöglich. Aber wie können wir dies verifizieren?“
„Verifizieren?“
„Sicher stellen. Herausfinden.“
„Was soll es denn sonst gewesen sein? Es wird wohl kaum jemand das Blatt hierhin getragen haben, oder?“
Wieder dachte der Mann nach.
„Nein, vermutlich nicht.“
Maria verstand immer noch nicht die Bedeutung des Blattes oder der Bäume oder dieser ganzen absurden Situation. War das hier ein Rätsel? Eigentlich liebte Maria Rätsel. Der einzige Grund, warum sie die große Zeitung ihrer Großeltern jeden Morgen las, war das kleine Rätsel für Kinder auf der letzten Seite.
Sie dachte nach: „Wir … wir könnten schauen, ob bei den anderen Bäumen auch Blätter zu finden sind.“
Die Augen des Mannes weiteten sich: „Ha! Eine ganz formidable Idee!“
Maria hatte keine Ahnung, was ‚formidabel‘ bedeutete, aber sie folgte dem Mann zu einem der anderen beiden Bäume.
„Siehst du Blätter auf dem Boden?“
„Nein.“
Sie schritten langsam, aber mit bedeutenden Schritten zum dritten Baum und Maria wunderte sich, dass der Mann nicht über seine eigenen, riesigen Schuhe stolperte.
„Hier?“
„Nein.“
„Was bedeutet dies?“
Maria kam zu dem Schluss, dass das hier alles ganz sicher kein wirkliches Rätsel war. Sie schaute sich hilfesuchend um – aber da war immer noch niemand, der sie aus dieser Lage hätte befreien können. Sie stand hier einsam auf diesem vernachlässigten Kirchplatz, mit einem unbekannten Mann und suchte Blätter. Blätter! Dieser Kerl war definitiv verrückt. So viel war ihr inzwischen klar, die Frage war nun nur noch, ob er auch gefährlich war.
„Nun?“, der Mann schien mehr zu sich selbst zu sprechen, denn er rieb sich noch immer nachdenklich das Kinn.
„Es war nicht der Wind?“, versuchte es Maria vorsichtig.
„Exakt! Es war nicht der Wind“, der Mann nickte, „Aber: Wenn nicht der Wind, was dann?“ Er wies zurück in Richtung des ersten Baumes, der direkt neben der wuchtigen Kirche stand. Sein Zeigefinger schien keinen Widerspruch zu dulden und so folgten sie ihm beide.
Der Mann zückte erneut die kleine Schachtel, zog vorsichtig mit spitzen Fingern das Blatt hervor und verglich es mit den Blättern, die noch am Baum hingen.
Wieder nickte er: „Ich wollte nur gänzlich sicher gehen. Dieses Blatt stammt von diesem Baum. Ohne Frage. Aber wie …“, er legte eine dramatische Pause ein, „wie kam es dort zu dem Blumenbeet?“
„Hier … hier sind noch andere.“
„Andere?“
„Andere Blätter. Dort und hier.“, Maria hob zwei weitere Blätter vom Boden auf und reichte sie dem Mann.
Zum ersten Mal lächelte der Mann sie an: „Ganz …“
„Formidabel?“
„Jawohl. Formidabel, hervorragende Arbeit! Wie ist dein Name, Kind?“
„Maria“, sie wusste nicht, ob es eine so gute Idee war, einem fremden Mann ihren Namen zu verraten. Einem fremden, verrückten Mann. Einem fremden, verrückten und womöglich gefährlichen Mann. Aber was sollte er nur mit ihrem Vornamen schon anfangen?
Der Mann legte mit bedeutungsvoller Miene seine rechte Hand auf die Brust und verbeugte sich: „Watson James. Es ist mir eine Ehre.“
„James Watson?“
„Nein, nein, Watson James.“
Maria blickte sich unsicher um. Nichts hiervon ergab Sinn und sie fragte sich, ob sie voller Schrecken davonlaufen oder einfach nur laut lachen sollte.
Watson James dachte nach. Er kramte aus einer seiner unzähligen Taschen eine Lupe hervor, betrachtete damit das Blatt, schüttelt dann jedoch resigniert den Kopf und verstaute seufzend das Instrument wieder in seinem Mantel.
Schließlich schritt er bedeutungsvoll auf dem Platz auf und ab und begutachtete Baum und Kirche von allen Seiten.
„Nun gut, …“, er hatte ihren Namen schon wieder vergessen.
„Maria.“
„Ganz recht. Maria. Nun gut, Maria. Was sehen wir?“
„Sehen? Wir?“
„Sehen! Dort. Der Baum. Die Kirche. Der Platz. Es ist alles da, wir müssen es nur sehen. Was siehst du?“
Maria verzog nachdenklich das Gesicht und fuhr sich kurz unsicher durch ihre roten Haare.
„Dieser Baum steht direkt vor der Kirche. Die Kirche ist groß. Glaube ich zumindest. Ich kenne nicht so viele Kirchen. Vermutlich ist sie gar nicht so groß, aber ich kenne keine größere. Sie ist schon sehr alt. Das habe ich mal in der Schule gehört und es gibt einige wertvolle Gemälde oder auch Statuen in der Kirche. Sie … sie ist aus Stein.“, Maria fiel nichts mehr ein.
Watson James seufzte.
„Natürlich ist sie aus Stein. Was ist mit dem Baum?“
„Der Baum? Ich habe keine Ahnung von Bäumen. Ein Laubbaum. Aber…“
„Maria“, der Mann blickte mit strenger Miene auf sie herab und für einen Moment erschrak sie, „wir müssen die Dinge in Verbindung bringen. Es muss eine Verbindung geben. Es gibt immer eine Verbindung. Das Fenster!“
Maria lief um den Baum herum.
„Ja, der Baum steht direkt am Fenster. Das ist aber keines der großen Kirchenfenster. Das ist ein ... ein … normales Fenster.“
Watson James nickte und betrachtete erneut die Fassade des Gebäudes. Die Kirche schien in der Tat alt zu sein, aber zu einer Zeit gebaut, als kunstvolle und filigrane Verzierungen an Gotteshäusern einer verblendeten Vergangenheit zugeschrieben worden waren und man diese Kirche daher in der Form eines einfachen, wuchtigen Klotzes errichtet hatte, der sich unbezwingbar in den Himmel erhob. Offenbar hatte man jedoch nicht gänzlich auf Ausschmückungen verzichten wollen, denn neben dem gewaltigen, dunklen Eingangsportal waren mehrere Kirchenfenster eingelassen, die sich in ihrer glänzenden Farbigkeit hoch hinauf in die Mauer streckten. Vielleicht hatte man daher irgendwann diesen Baum direkt vor das einzige, langweilige, kleine Fenster gepflanzt, das irgendwo am Rand des Gebäudes vermutlich in irgendeinen nüchternen und keinesfalls göttlichen Raum führte.
„Vielleicht eine Kammer oder eine Toilette“, flüsterte Watson James, mehr zu sich selbst.
„Toilette?“, Maria merkte erst jetzt, dass sie so einen Raum jetzt gut brauchen könnte.
„Hinter dem Fenster, hinter dem Baum. Eine Kirche besteht nicht nur aus sakralen Räumen mit Altar, Gemälden und Statuen. Irgendwann muss auch mal jemand auf Toilette.“
Maria hatte sich noch nie Gedanken darüber gemacht, welche Räume es in einer Kirche gab und, offen gesagt, war es ihr auch ziemlich egal. Ihr wurde es mit jeder Minute ungemütlicher. Sie wollte nach Hause. Die anderen Kinder waren ja längst verschwunden, sie konnte also einfach gehen.
Zurück nach Hause?
Wirklich?
Maria seufzte schwer.
Watson James zeigte auf das schwere Tor: „Wir sollten uns die Kirche einmal von innen betrachten. Irgendetwas stimmt hier nicht.“
Ohne auf eine Reaktion von Maria zu warten, schritt er zielsicher darauf zu.
Maria wollte noch nicht nach Hause. Nicht wirklich. Aber sie wollte auch nicht hier sein. Sie durfte fremden Menschen nicht folgen. Aber galt das auch für eine Kirche? Könnte ihr in einer Kirche etwas passieren?
„Maria! Die Kirche?“, Watson James hatte sich zur ihr umgedreht und blickte sie mit einem entgeisterten Blick an, als wäre es eine unumstößliche Selbstverständlichkeit, dass sie ihm natürlich in das große Gebäude folgen würde.
„Ich … also … ich sollte eigentlich wohl besser gehen, also nach Hause gehen, es wird schon spät … also nicht wirklich spät, aber spät genug, also …“
Watson schüttelte nur ungläubig den Kopf: „Nein, nein, nein. Jeder große Geist braucht eine Begleitung, eine Unterstützung, eine Hilfe, will sagen, einen Freund an seiner Seite, eine personelle Fläche der Reflexion, ein Gegenüber. Du hast bewiesen, dass du dieser Rolle würdig sein kannst. Außerdem …“, er stockte kurz und senkte die Stimme, „es besteht durchaus die Möglichkeit, dass man mir nicht glauben wird, also allein, also wenn nur ich dort bin, daher brauche ich einen Zeugen, einen Kompagnon, …“
„Also gut, also gut“, Maria verstand kaum etwas von all dem, aber da es nicht so schien, als würde Watson James sich von der Idee abbringen lassen, dass sie ihn begleiten müsse, war alles besser, als noch weiter seinen ausschweifenden und unverständlichen Ausführungen folgen zu müssen.
Maria hatte beschlossen, dass Watson James mit großer Wahrscheinlichkeit ausschließlich verrückt und keinesfalls gefährlich war.
„Wohlan!“, mit einem breiten Grinsen warf Watson James den grünen Schal mit gelben Punkten um seinen Hals und öffnete das schwere Eisentor, das in die Kirche führte.
Das Innere des Gebäudes war keinesfalls so schmucklos wie das Äußere. Der Eingang führte direkt zu den streng ausgerichteten Sitzreihen des breiten Mittelschiffs, dessen geschwungene Decke ebenso wie die alles umfassende Mauer von mehreren schweren Steinsäulen getragen wurde. Zwischen den Säulen und unter den hellen Kirchenfenstern hingen dunkle Gemälde und standen graue Statuen. Ihnen direkt gegenüber befand sich der Chorraum, in dem hinter einem einfachen Altar ein schweres Holzkreuz positioniert war.
„Es ist niemand hier“, flüsterte Maria.
Watson James nickte: „Lass uns den Ort observieren. Achte auf ungewöhnliches.“
„Ungewöhnliches? In einer Kirche?“
Wieder nickte Watson James: „Ungewöhnliches. Los, los!“
Mit diesen Worten schlichen sie vorsichtig durch den großen Kirchenraum, wie zwei Piraten auf der Suche nach einem verborgenen Schatz.
Maria hatte keinerlei Ahnung, was sie hier eigentlich sollte. Warum sie eigentlich hier war. Warum sie jetzt durch diese alte Kirche schlich und Ausschau hielt nach etwas, von dem sie nicht einmal wusste, was es eigentlich sein sollte. Mit jedem Schritt, mit jedem Gemälde an der Wand, mit jeder Statue, die ihr leidend oder gütig lächelnd ins Gesicht blickte, wurde sie wütender. Was für ein unglaublicher, unsinnig Quatsch.
„Maria, hast du etwas entdeckt?“
„Nein, ich habe nichts entdeckt. Hier gibt es nichts zu entdecken. Das ist eine Kirche. Eine ziemlich kaputte Kirche, wenn Sie mich fragen. Hier ist alles irgendwie … kaputt halt. Unter jeder Kerze ist ein fetter Wachsfleck. Dieser Statue des alten Mannes da fehlen mindestens drei Finger. Und da drüben war wohl einmal ein Gemälde, aber jetzt ist es weg. Und das Kreuz hinter dem Altar sieht so aus, als würde es jeden Moment auf genau diesen Altar herunterkrachen. Kabumm! Aber sonst? Nein, nichts Ungewöhnliches. Keine Goldschätze oder Leichen oder was auch immer Sie hier erwarten. Ich … also ich bin jetzt echt weg, ich muss …“
„Moment, Moment, was sagtest du über das Gemälde?“
„Was?“
„Das Gemälde. Du sagtest etwas von einem Gemälde, das nicht mehr da sei.“
Maria seufzte: „Dort. Sehen Sie: Man kann an dem hellen Fleck noch erkennen, dass da mal etwas gehangen hat. Zwischen den Säulen. Hier hängen ja überall Bilder und Statuen und so Zeug. Aber da ist nichts mehr.“
Watson James‘ Augen weiteten sich: „Ganz formidabel! Maria! Was für eine ganz exorbitant ausgezeichnete Auffassungsgabe und Wahrnehmung.“, er ergriff Marias Hand und zog sie hinüber zu der Stelle an der dunklen Mauer der Kirche, in der … eben nichts mehr hing. Unter dem bunten Kirchenfenster und über einem brüchigen Holzstuhl konnte man an der Wand schwach einen rechteckigen, hellen Fleck erkennen.
Watson James fuhr vorsichtig über das Rechteck, als wolle er prüfen, ob er es fortwischen könne. Dann nickte er.
„Hier war etwas befestigt. Es hat eine lange Zeit dort gehangen. Wie wohl alle Gemälde an diesem Ort. Aber es ist verschwunden. Es wurde entfernt. Es wurde … gestohlen!“
Maria seufzte wieder schwer und verdrehte frustriert die Augen: „Ja, natürlich. Gestohlen. Was auch sonst?“
Watson James ließ sich nicht beeindrucken. Er blickte sich suchend um.
„Wir brauchen eine Tür.“
„Eine Tür?“
„Ganz recht. Eine Tür.“
„Dort …“, Maria wies auf das schwere Eingangstor.
Jetzt seufzte Watson James: „Unfug. Eine kleine Tür. Eine unwichtige Tür. Wir müssen das Fenster finden. Es ist nicht hier. Natürlich ist ein unwichtiges Fenster nicht hier. Es ist an einem anderen Ort. Hinter einer unwichtigen Tür. Ein unwichtiges Fenster hinter einer unwichtigen Tür.“ Er sprach wie in Trance.
Watson James kramte in mindestens vier seiner unzähligen Taschen, zog einige undefinierbare Gegenstände hervor, betrachtete sie kurz, nur um sie dann kopfschüttelnd wieder verschwinden zu lassen.
Maria fiel beim besten Willen kein Gegenstand ein, der ihnen hätte helfen können, eine Tür zu finden, aber sie wollte keinesfalls nachfragen.
„Wir haben das Fenster an der Front der Kirche gesehen. Die Tür kann sich also nicht im hinteren Teil befinden. Gänzlich ausgeschlossen.“, Watson James kicherte. „Ha, was für ein entzückendes Wortspiel: Tür … und ausgeschlossen.“
Maria war nicht in der Stimmung für Scherze.
„Vielleicht dort?“
„Wo?“
„Na da!“, Maria zeigte auf eine Stelle im hinteren Teil der Kirche. In der Tat konnte man dort schwach eine kleine Tür erkennen, deren Äußeres sich im Laufe der Jahre den grauen und tristen Mauern angeglichen hatte und die man daher nur schwer und im Grunde nur an der rostigen, klobigen Türklinke erkennen konnte.
Watson James stupste Maria begeistert an die Schulter, die daraufhin erschrocken zusammenfuhr.
„Ganz ausgezeichnet, mein überaus eifriger Gehilfe.“
Ohne Marias entsetztes Gesicht bei dem Wort ‚Gehilfe‘ zu sehen, trat er auf die Tür zu, öffnet sie und schritt hindurch.
„Warten Sie! Sie … Sie können doch nicht einfach da rein … also das gehört doch ganz sicher nicht zur Kirche. Also zu diesem Teil der Kirche, also dem Teil, in den jeder einfach so … wer weiß, wer da wohnt, wenn da jetzt der Pfarrer …“, Maria rannte zögerlich hinterher und blieb unsicher im Türrahmen stehen.
Hinter der Tür befand sich ein kleines, schmuckloses Zimmer mit einem Tisch, einer Bank und ein paar Schränken. Tatsächlich führte ein kleines Fenster hinaus ins Freie und sie konnten hinter dem graubraunen Vorhang den Baum erkennen, von dem Maria noch immer ein Blatt bei sich trug. Sollte es in einem Lexikon einen Eintrag für das langweiligste Zimmer aller Zeiten geben, dann wäre dort sicher ein Foto von diesem hier abgebildet, dachte Maria nur, während Watson James den Vorhang zur Seite schob.
„Nun gut, dies ist das Zimmer zu dem Fenster. Dort ist der Baum. Soweit … so gut.“, er schien nachzudenken und rieb sich erst das Kinn und dann den gepflegten Schnurrbart.
„Denken Sie nicht, dass wir verschwinden sollten? Was ist, wenn der Pfarrer kommt und uns erwischt? Das ist sicher verboten. Wir dürfen hier nicht sein.“
Watson James schüttelte erst den Kopf und dann mit bedeutender Miene den Zeigefinger: „Oh nein, wir sind hier etwas auf der Spur. Ohne jede Frage.“
Es reichte.
Wirklich.
Maria explodierte: „WIR sind hier ganz sicher nichts auf der Spur. SIE sind etwas auf der Spur. Und ich würde behaupten, dass auch das weit übertrieben ist. Denn das hier ist eine Kirche. Eine langweilige Kirche und Sie stehen in einem langweiligen Raum in dieser langweiligen Kirche und schauen durch ein langweiliges Fenster auf einen langweiligen Baum, und all das nur, weil Sie ein langweiliges Blatt gefunden haben. Das ist alles völlig irre. Wieso haben Sie eigentlich draußen nach Blättern gesucht, wenn Sie nicht einmal wussten, dass hier ein Gemälde fehlte? Das … das ist alles Quatsch und Unsinn und ich … also ich … ich gehe jetzt.“
„So, so, meine Kirche ist also langweilig?“
Maria zuckte zusammen. Hinter ihr stand ein alter Mann und blickte sie ernst unter dichten, grauen Augenbrauen an.
Der Pfarrer.
Für einen winzigen Moment war Maria überrascht, dass er normale Kleidung trug, denn sie hatte bisher Pfarrer immer nur während einer Messe gesehen.
Sie wurde rot im Gesicht und schaute wieder verlegen auf ihre Schuhspitzen, die noch immer dreckig waren von dem Blumenbeet.
„Ich, nein, also ich, ich meine, ich wollte nur …“
Was hatte sie hier auch verloren? Jetzt würde der Pfarrer ihre Eltern anrufen wollen, nur um festzustellen, dass da niemand war, also keine Eltern, sondern nur Großeltern, und dann gäbe es sicher wieder viele seltsame Fragen und das alles nur weil sie diesem eigenartigen Kerl hier in die Kirche gefolgt war.
Eben dieser Kerl schnipste in diesem Moment mit den Fingern und blickte Maria fordernd an: „Maria, das Blatt!“
Maria war von der Situation so überfordert, dass sie, ohne nachzudenken, dem Befehl folgte, die kleine Schachtel hervorkramte und Watson James in die Hand drückte.
„Herr … Pfarrer“, begann Watson James, „wir haben dieses Blatt kollektiert, will sagen, gefunden, draußen, dort wo es nicht sein sollte. Der Weg führt durch das Fenster in diesem Raum und nun stellen wir fest, dass ein Gemälde in Ihrer Sammlung verlustig ist – und ich kann daraus nur einen Schluss ziehen: Es hat sich ein Diebstahl ereignet.“ – er atmete schwer ein, hielt die Luft an und blickte beide mit weiten Augen an, um seinen Worten mehr Dramatik zu verleihen.
Der Pfarrer schüttelte den Kopf. Er schien kein Wort verstanden zu haben. Er war ein alter Mann, vielleicht doppelt so alt wie Watson James, und schien in seiner Zeit schon eine Menge erlebt zu haben, was ihm Furchen und Falten in das dunkle Gesicht getrieben hatte, aber selbst für ihn schien diese Situation mehr als sonderbar zu sein.
„Folgen Sie mir bitte“, mit diesen Worten wies Watson James den Weg zurück in die große Halle der Kirche. Maria und der Pfarrer folgten ihm unsicher.
„An dieser Stelle hat sich ein Gemälde befunden. Ohne jeden Zweifel. Die Spur ist unmissverständlich.“, er starrte den Pfarrer mit ernster Miene an, „ich werde Ihnen sagen, was geschehen ist.“, Watson James räusperte sich.
„Das Gemälde wurde entwendet, gestohlen, geklaut, geraubt …“
„Was? Nein … das ist nicht…“, der Pfarrer versuchte ihn zu unterbrechen, aber Watson James überhörte ihn einfach.
„Warum aber das Blatt im Blumenbeet, werden Sie fragen? Ja, ohne Zweifel wäre dies womöglich verborgen geblieben. Aber nicht mir und meiner tapferen Gehilfin.“ Maria schluckte, sie wollte eigentlich nicht weiter in diese Sache hineingezogen werden.
„Ich bin mir sicher, es geschah wie folgt: Der Dieb schleicht sich in die Kirche…“, Watson James trippelte zur Verdeutlichung langsam vom Eingangstor zu der Stelle, an der das Gemälde gehangen hatte.
„… aber er kann natürlich nicht einfach das Gemälde entwenden. Nicht am Tag. Nicht, wenn ihn jederzeit jemand bei seiner diabolischen Tat unterbrechen könnte. Nein! Also muss er sich verstecken. Er muss warten. Also wartet er. Wo? Das weiß ich nicht. Es spielt auch keine Rolle. Er wartet, bis es Abend wird. Oder gar Nacht. Und dann schreitet er zur Tat. In exakt diesem Sinne. Er schreitet langsam zu dem Gemälde und nimmt es an sich, in der abtrünnigsten Absicht, es zu entwenden. Aber dann versagt sein Plan, er muss feststellen, dass das Eingangstor verschlossen ist.“ Für einen Moment hielt Watson James inne und blickte fragend zum Pfarrer hinüber: „Ich nehme an, dass das Tor nachts verschlossen wird?“
Der Pfarrer nickte verwirrt: „Ja, schon, aber …“
„Aha! Exakt wie ich es deduziert habe. Er ist also gefangen. Eingeschlossen in diesem Gotteshaus. Welch‘ bittere Ironie! Also muss er einen anderen Weg suchen, eine Alternative - und er findet sie!“
Watson James legte eine dramatische Pause ein, dann zeigte zurück in den kleinen Raum, den sie gerade erst verlassen hatten.
„Er schleicht sich in das kleine Zimmer, öffnet das Fenster und klettert durch den Baum hinaus und flieht von dannen. Aber er übersieht, dass seine Flucht Spuren hinterlassen hat.“
Watson James hielt das Blatt bedeutungsschwanger in die Höhe.
„Eine Spur, die klarer und eindeutiger kaum sein könnte.“
Er grinste und nickte sich selbst zufrieden zu.
Der Pfarrer schien verunsichert, ob sein Gegenüber seine Ansprache tatsächlich beendet hätte, dann stammelte er leise: „Es … es war ganz anders. Das Gemälde … es befindet sich zur Restauration.“
„Restauration?“
„Es war … alt und die Farben … sie waren nicht mehr … wie soll ich es beschreiben … sie waren blass und daher haben wir uns entschlossen, dass das Gemälde restauriert werden müsse, also ausgebessert, so dass es wieder …“
„Natürlich weiß ich sehr wohl genau, was ‚Restauration‘ bedeutet.“, Watson James schien mit einem Mal wütend. Sehr wütend. Er blickte sich um und schritt dann die lange Wand der Kirche ab.
„Und dieses Gemälde? Und dieses? Sie alle gehörten wohl in die … wie Sie sagen … Restauration. Nein, nein, das ist keine … keine plausible, keine gute Erklärung, das ist Unsinn, Quatsch. Die hier alle, sie müssten überholt werden. Unsinn, Schwachsinn, Blödsinn.“
„Bitte verlassen Sie jetzt die Kirche.“, der Pfarrer schien solche Gefühlsausbrüche in seiner Kirche nicht gewohnt zu sein. Er strich sich nervös über die schwitzende Stirn.
„Verlassen? Niemals!“
Watson James schritt immer noch vor den Reihen der Kirchenbänke auf und ab: „Maria, wir werden jedes Bild hier untersuchen. Ich beginne auf der …“
„Wenn Sie nicht augenblicklich …“
„… linken Seite und du dort drüben.“
„… die Kirche verlassen, werde ich …“
„Nein, ich möchte nichts untersuchen!“
„… die Polizei verständigen müssen!“
„Aber natürlich, du bist meine rechte Hand, meine Hilfe, los, los!“
Der Pfarrer verschwand durch eine weitere unsichtbare Tür irgendwo in der Wand.
„Jahaaa! Verständigen Sie die Polizei nur! Sie sollen wissen, was hier geschehen ist.“
„Hören Sie zu, Herr Watson …“
„Herr James, wenn dann schon. Du solltest solche zentralen Parameter nicht durcheinanderbringen.“
„Wie auch immer! Ich bleibe nicht hier und ganz sicher untersuche ich keine Gemälde mehr! Ich habe hier nichts verloren, ich weiß nicht mal, warum ich mit hierhin gekommen bin. Der Pfarrer holt die Polizei. Haben Sie eine Ahnung, was passiert, wenn die hier auftaucht?“
„Sie werden aufgeschlossen und interessiert meiner Entdeckung lauschen?“
„Nein, ganz sicher nicht. Im besten Fall werfen sie uns einfach raus oder sie nehmen uns mit und dann rufen sie bei mir zu Hause an. Ich will nicht, dass sie bei mir zu Hause anrufen, ich will jetzt selbst einfach nach Hause gehen. Und genau das …“
„Weißt du, was das bedeutet?“
„Was?“
„Der Pfarrer ist selbst in dieses schändliche Verbrechen involviert!“
„Was? Haben Sie überhaupt zugehört, was ich …“
„Ohne jede Frage, so muss es sein! Natürlich hat er das Gemälde nicht selbst entwendet. Das wäre ein leichtes gewesen. Er kann an diesem Ort ein und ausgehen, wie es ihm beliebt. Nein, nein, es war jemand anderes. Jemand, den der Pfarrer deckt, den er schützen will, daher diese absurde Idee von der Restauration. Ha, als ob ich nicht wüsste, was das ist.“
Maria war verzweifelt. Sie wollte gehen. Aber durfte sie einfach gehen? Wollte sie wirklich gehen? Wollte sie diesen Kerl einfach der Polizei überlassen? Ohne jede Frage war er verwirrt, wenn nicht gar verrückt. Er würde Hilfe brauchen. Ihre Hilfe? Aber sie wollte keine Fragen. Keine Probleme. Keine Anrufe.
In diesem Moment wurde ihr jede Entscheidung abgenommen, denn es öffneten sich zeitgleich zwei Türen: Eine kleine Tür irgendwo in der Wand und das große Eingangstor.
Aus der kleinen Tür trat der Pfarrer und aus dem Eingangstor zwei Polizisten.
‚Jetzt schon?‘, dachte Maria erschrocken.
„Eine Streife befand sich direkt in der Nähe“, rief der Pfarrer selbstbewusst, als hätte er ihre Gedanken erraten.
Als die beiden Polizisten Watson James erkannten, meinte Maria ein leises Seufzen zu hören.
„Sehr gut, die Polizei“, mit selbstsicheren Schritten trat Watson James den beiden Beamten entgegen, „wir haben es hier mit einem diabolischen Verbrechen zu tun. Inmitten dieser heiligen Hallen.“
„Ich habe ihnen gesagt, dass sie die Kirche verlassen müssen“, unterbrach ihn der Pfarrer und wandte sich ebenfalls an die beiden Beamten.
„Hören Sie es? Verlassen! Selbstverständlich, da er ja in diese Missetat involviert ist.“
„Sie befanden sich in der kleinen Kammer dort.“
„Ein Gemälde wurde entwendet.“
„Das ist ein privater Raum.“
„Selbstverständlich waren wir in diesem Raum, denn der Dieb flüchtete gar durch eben diesen!“
„Dieb? Ich habe den beiden gesagt, dass das Gemälde zur Restauration …“
„Ha! Sie als professionelle, erfahrene Hüter von Recht und Ordnung glauben doch nicht ein solch absurdes Märchen?!“
„Aber es ist die Wahrheit. Was denkt dieser Kerl sich für einen Unsinn aus?“
„Unsinn? Er verheimlicht etwas! Das ist die einzige, ungelöste Frage: Was verheimlicht er? Warum deckt der den Dieb? Der Dieb, der dieses Gemälde dort von dieser Wand nahm, zunächst durch diese Tür in diesen Raum und dann durch das dort gelegene Fenster hinausflüchtete, über den Baum ins Freie.“
„Dies ist eine öffentliche Kirche, aber trotzdem hat nicht jeder hier das Recht nach Belieben …“
„Belieben?“
„Jawohl, nach Belieben hier herumzuschnüffeln!“
„Schnüffeln?“
„Stopp!“, rief in diesem Moment einer der beiden Polizisten, „das reicht! Eines nach dem anderen.“
„Maria! Zeig den Herren das Blatt. Dann werden sie sogleich verstehen.“
Maria stolperte unsicher einen Schritt zurück, als sich plötzlich alle Blicke auf sie richteten. In ihrem Kopf drehte sich alles. Sie wollte nicht hier sein. Aber jetzt schauten sie alle an. Sollte sie den beiden Polizisten das Blatt zeigen? Das Blatt eines Baums? Ein stinknormales Blatt eines stinknormalen Baums? Wäre das gut? Oder schlecht? Würde das die Polizisten davon abhalten, Fragen zu stellen? Oder gerade nicht?
Sie zog das Kästchen hervor und präsentierte erneut das einsame Blatt.
Watson James verschränkte nickend die Arme: „Sehen Sie! Das Blatt beweist alles.“